Sehr geehrter Damen und Herren,
wir sind irritiert über die Darstellung des FT in der Strafsache um den Verdacht des sexuellen Missbrauchs an einem der bei uns wohnenden Jugendlichen, der sich in einer unserer Wohngruppen im Jahre 2018 ereignet haben soll. Wir hatten den Vorfall damals nach sorgfältiger Prüfung zur Anzeige gebracht, weil uns die Äußerungen des Opfers glaubwürdig erschienen, und würden dies nach heutiger Sicht genauso wieder tun. Die Schlagzeile Ihrer Vorankündigung vom 09.03.21 ist zwar korrekt, im weiteren Verlauf suggeriert der Text jedoch einen Verlauf, den es vor Gericht erst noch zu beweisen galt.
Die Nennung unserer Einrichtung empfinden wir nach Datenschutz- Gegebenheiten als fahrlässig. Wenn Sie schon unbedingt die Wohnform nennen wollen, hätte es „Eine Jugendhilfeeinrichtung im Landkreis Haßberge“ auch getan. Uns erschließt sich hierbei nicht, welchen informativen Mehrwert sich für den Leser durch die Nennung des Einrichtungsnamens (korrekt Kinder- und Jugendhilfe St. Josef) ergibt und z.B. rechtfertigt, dass unsere Kinder und Jugendlichen nun in der Schule auf den Vorfall angesprochen werden und sich in ihrer Loyalität unserem Haus und ihrer Wohngruppe gegenüber für Dinge rechtfertigen müssen, die sie weder zu verantworten haben noch sie in irgendeiner Form tangieren, da sie in einem komplett anderen Bereich wohnen.
Und was bitteschön ist ein Heimkind?
Die vom Fränkischen Tag verwendete Begrifflichkeit erscheint in Zeiten, in denen andernorts über die Verwendung von Gender- Sternchen diskutiert wird (Spiegel Titel; Ausgabe 10/2021), wie aus der Zeit gefallen.
Die korrekte und zeitgemäße Verwendung von Begriffen ist zweifellos ein grundsätzliches Thema und zieht sich mehr oder weniger gelungen durch die komplette Medienlandschaft.
Ist es bei dem vorhandenen Sachverhalt überhaupt relevant, in welchem Gebäude ein mutmaßliches Opfer wohnt, und wenn ja, sollte man dann nicht konsequenterweise auch von Mietshauskindern, Fertighauskindern und Villenkindern schreiben?
Spaltungen und Stigmatisierungen entgegenzutreten ist heute leider wieder eine gesellschaftliche Herausforderung geworden. Eine Bitte an den FT: Helfen Sie den Kindern und Jugendlichen der Jugendhilfeeinrichtungen, dass diese Spaltungen nicht noch vertieft werden und legen Sie bei der Bezeichnung dieselbe Sorgfalt an wie bei anderen, z.B. farbigen Mitbürgern.
Was spricht dagegen, dass Sie einfach von Kindern oder Jugendlichen schreiben?
Das Problem des Missbrauchs ist ein gesellschaftliches Problem, das alle Bevölkerungsgruppen betrifft. Da Vertuschung und Manipulation in der Natur einer jeden Straftat liegen, kommen die wahren Begebenheiten leider nicht immer ans Licht. Ein Freispruch eines Angeklagten muss deswegen respektiert werden.
Selbstverständlich werden wir die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen weiterhin nach partizipativen und demokratischen Grundsätzen erziehen und anleiten – und ermuntern, auf uns und ihre Bezugspersonen zuzugehen, wenn sie sich von irgendjemandem nicht korrekt behandelt fühlen. Wir brauchen selbstbewusste Kinder, die sich nicht entmutigen lassen, selbstbestimmt und mutig für ihre Rechte einzutreten.
Martin Gehring
Gesamtleiter
Kinder- und Jugendhilfe St. Josef, Eltmann